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Erfahrungsbericht: Die „Zoonosenjäger“ - Wie du mit Wildtieren für One Health arbeiten kannst

„Sumatra est mort!“ (Sumatra ist tot.) Als mich diese Nachricht am 01. August 2021 erreicht, bin ich als Mitglied einer Feldmission der Projektgruppe P3 – Epidemiologie hochpathogener Erreger des Robert-Koch Institutes zum Beproben von Nagern, Spitzmäusen und Fledermäusen im Taï National Park an der Elfenbeinküste. Sumatra war eine habituierte, also Beobachtung durch Forscher tolerierende, Schimpansin des Taï Chimpanzee Project (TCP), für das ich gleichzeitig als Urlaubsvertretung der betreuenden Tierärztin verantwortlich bin. Seit mein Doktorvater, Prof. Dr. Fabian Leendertz, im Zuge seiner Doktorarbeit vor über 20 Jahren dort das tödliche zoonotische Bakterium Bacillus cereues biovar anthracis (einen Anthrax-Erreger) entdeckte, arbeitet seine Arbeitsgruppe regelmäßig dort und in anderen Ländern West- und Zentralafrikas und widmet sich der Erforschung zoonotischer Erreger. Speziell Schimpasen sind aufgrund ihrer nahen Verwandtschaft zu Menschen gute „Filter“ für Erreger, die auch humanrelevant sind.



Sampling eines Flughundes der Species Epomops franqueti (©Kamilla Pléh)

Als ich von Sumatras Tod erfahre, weiß ich, dass ich so schnell wie möglich zu ihr muss, um eine Autopsie durchzuführen. Noch am Morgen hatten wir versucht, zu unseren Nagerfallen zu gelangen. Jedoch war der gesamte Wald nach Starkregen meterhoch überflutet. Die Brücke, die über einen nahen Fluss führt, war in den Fluten verschwunden. Dennoch müssen wir aufbrechen: Zusammen mit einem ivorischen Assistenten und meiner erfahrenen Kollegin Kamilla, die mich bei der korrekten Durchführung von Biosicherheits- und Autopsietechniken unterstützen wird, haben wir jedoch Glück: Das Wasser steht nur noch hüfthoch, sodass wir die mehrstündige Wanderung durch den Urwald ohne größere Schwierigkeiten antreten können. Nach einer Stunde sind wir am Südcamp des TCP angelangt, wo wir neben Autopsiebesteck auch Material für eine Gehirnextraktion abholen. Sumatras Proben sollen auf alle möglichen Krankheitserreger untersucht werden, das Gehirn dient als wichtige Probe des Projektes Evolution of Brain Connectivity (EBC) des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropology in Leipzig.

Weitere zwei Stunden später erreichen wir Sumatras Leichnam und sind traurig berührt. Sie ist übersäht mit fleischfressenden Heeresameisen. Die Assistenten vor Ort berichten uns, dass die mit 52 Jahren uralte und von einem Leopardenangriff geschwächte Schimpansin am Morgen aus Schwäche aus ihrem Nest gefallen und im Bau der Ameisen gelandet war. Von dort schaffte sie es bis zu ihrem Tod nicht mehr sich wegzubewegen.

Wichtig ist hier das richtige Verständnis von Tierschutz in der Arbeit mit habituierten Schimpansen: Menschen dürfen keinerlei Interaktion mit den Tieren haben und nur bei menschlich bedingten Erkrankungen bei Schlüsseltieren eingreifen. Denn in der Arbeit mit Wildtieren ist es wichtig zu bedenken, dass wir mit jeglichem Eingriff in ein solch komplexes und fein adjustiertes Ökosystem unvorhersehbare und teils drastische Schädigungen des ökologischen Gleichgewichts riskieren. Somit ist es entscheidend, Tierschutzaspekte im Kontext ihrer Verknüpfungen zur Umwelt und der gesamten Schimpansenpopulation zu sehen. Natürliche Erkrankungen und Tod sind ein Teil des Lebens der Schimpansen. Ihr Leben künstlich zu verlängern, könnte beispielsweise Krankheiten weiterverbreiten oder Ressourcen für gesunde und aufwachsende Tiere künstlich verknappen. Ein Rettungsversuch in dieser Situation ist somit aufgrund unvorhersehbarer aber potentiell für die Schimpansenpopulation schädlicher Auswirkungen abzulehnen, auch wenn unser Mitgefühl und Gewissen uns etwas Anderes sagt. Mehr dazu findest du in den „Best practice guidelines for health monitoring and diesease control in great ape populations” der IUCN (International Union for Conservation of Nature), die unter anderem internationale Standards für Umwelt- und Naturschutzfragen entwickelt.


Vorbereitung der Gehirnextraktion der Schimpansin Sumatra (© Kamilla Pléh)

Mit Hilfe von Rambo, dem Allzweckinsektizid im Urwald, können wir schließlich die Autopsie vorbereiteten, ohne selbst Opfer der Ameisen zu werden. In BSL3-konformer Ganzkörperschutzkleidung (bestehend aus einem Tyvek-Overall, einer FFP3 Maske und einem Gesichtsschild, dreifacher Lage Schutzhandschuhe mit Armstulpen und Schutzstiefeln) bauen wir in über zehn Metern Entfernung eine Hygienebarriere auf. Näher darf ohne Schutzkleidung niemand kommen. Es beginnen fünf anstrengende Stunden in Schutzkleidung bei 27 Grad, 100% Luftfeuchtigkeit und einsetzender Dunkelheit. Der Schädel wird mit einer Knochensäge eröffnet, das Gehirn vorsichtig extrahiert und in ein Konservierungsmedium überführt (3 Stunden).

Dann eröffne ich den Körper und entnehme Proben von allen inneren Organen, von Sumatras Wunden und ihrer Haut. Eine umfangreiche pathologisch-anatomische Untersuchung und Diagnosestellung ist aufgrund der Umstände unmöglich, jedoch deuten das Fehlen akuter pathologischer Veränderungen, ihr hochgradig abgemagerter Ernährungszustand und die chronisch entzündeten Bisswunden des Leopardenangriffes auf einen chronischen Krankheitsverlauf hin. Zum Abschluss wird der Leichnam Sumatras in einer zuvor ausgehobenen Grube begraben, um Kontakt anderer Waldbewohner mit dem durch uns eröffneten Körper und Schädel zu verhindern. Nach getaner Arbeit treten wir den dreistündigen Rückweg an und erreichen um 2.00 Uhr nachts die Forschungsstation, von der wir am Mittag gegen 12.00 Uhr aufgebrochen waren. Dann verbringen wir die nächsten Stunden damit, die Proben zu sortieren und für spätere Anzucht und molekularbiologische Analysen in Flüssigstickstoff einzulagern, um schließlich um 5.00 Uhr todmüde in unsere modrigen Matratzen zu fallen.

Neben der Arbeit mit den Schimpansen ist, wie oben erwähnt, die Arbeit mit wilden Kleinsäugern, die als Wirte vieler zoonotischer Erreger eine Schlüsselrolle einnehmen, ein wichtiger wissenschaftlicher Fokus meiner Arbeitsgruppe. Während meiner Dissertation, in der ich mich mit der Schnittstelle dieser Kleinsäuger mit Umwelt und Mensch beschäftige, war ich zweimal Teil eines internationalen Teams, das im Rahmen des Projektes BiodivAfreid den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und dem Auftreten von Infektionskrankheiten erforscht und Fledermäuse, Nager und Spitzmäuse in der Elfenbeinküste beprobte. Gleichzeitig ist meine Arbeitsgruppe von einem Teil des Robert-Koch Instituts in Berlin zum Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) Greifswald, einer Außenstelle des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) gewachsen. Am HIOH besteht neben Möglichkeiten für Doktorarbeiten auch die Möglichkeit, durch Praktika einen Zugang zur Arbeit mit Wildtieren zu finden, und den gesellschaftlich hochrelevanten Bereich One Health kennenzulernen.


Jonas Steiner


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